Ein Quell tieferer Freude
Wie Konsumkapitalismus unser Denken beeinflusst.

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Worte: Ewen Haldane

Fotos: Matt Stuart / Magnum Photos

The School of Life

Es gibt wenige Aktivitäten, die wir ernster nehmen und mit grimmigerer Entschlossenheit angehen als Einkäufe im Sale. Den Höhepunkt erreicht dieses Verhalten mit einem Phänomen, das als „Black Friday“ berühmt geworden ist.

Aber wenn wir uns einmal besinnen, bringt es selten das erhoffte Glück, unseren Wecker auf 3 Uhr morgens zu stellen, um als erster in der Schlange für den neuesten Flachbildfernseher zu stehen. Der Grund dafür ist offensichtlich, hört man auf die spirituelleren Stimmen unserer Gesellschaft: Die Annahme, dass wir uns durch den Kauf materieller Dinge (auch mit 60 % Rabatt und einer kostenlosen Tragetasche) besser fühlen, ist grundsätzlich fehlgeleitet.

Diese Bedenken sind keineswegs neu, sondern existieren schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts, dem Beginn des heutigen Konsum­kapitalismus, als die Industrie begann, Massenware für eine sich ausbreitende Mittelschicht herzustellen. Die ersten Einkaufspassagen entstanden und waren schnell gefüllt mit Verbrauchern, die nach den neuesten Haushaltswarenmarken suchten.

Viele gesellschaftliche Beobachter waren entsetzt. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau zum Beispiel schlug ein vollständiges Verbot von unnötigem Schnickschnack in seiner Heimat Genf vor und drängte auf eine Rückkehr zu einer einfacheren, bescheideneren Lebensweise.

Die Problematik, die uns das Black Friday-Phänomen spiegelt, liegt neben der ökologischen Herausforderung vor allem in einer psychologischen Krise. Eine solche Art des Konsums ist auch emotional nicht nachhaltig. Um sich das zu verdeutlichen, kann man sich vorstellen, dass sich jedes materielle Objekt, das wir kaufen, auch psychologisch materialisiert.

Nehmen wir einen typischen italienischen Espressokocher: Auf den ersten Blick ein rein funktionales Gerät, mit dem wir effizient eine Tasse Kaffee zubereiten können. Auf den zweiten, psychologischen zugleich der Weg zu einer Art „Transsubstantiation“, einer Wesensverwandlung. Mit anderen Worten: Der Espressokocher birgt neben seinem praktischen Nutzen subtile Hinweise (durch sein Design und seine Ästhetik) auf psychologische oder gar spirituelle Ideale. Er bietet nicht nur den Genuss eines heißen Getränks, sondern ist auch ein Schritt in Richtung der bestimmten Art von Person, als die wir uns gern wahrnehmen möchten: zuverlässig, anmutig, bescheiden.

Das eigentliche Problem am Black Friday-Phänomen ist, dass die meisten der Objekte, mit denen wir uns umgeben, nicht solche positiven Effekte erzeugen. Kurzlebige Waren, die – wie wir genau wissen – nicht von Dauer sein werden und mit denen wir uns deshalb nicht identifizieren: Der Regenschirm, dessen Speichen sich nach dem ersten schweren Guss wölben, das T-Shirt, das nach der zweiten Wäsche seine Farbe verliert, oder die Software, die nach 18 Monaten nicht mehr unterstützt wird, können uns in leise Verzweiflung stürzen

Natürlich liegt der Grund dafür, dass wir von Dingen umgeben sind, die so anfällig für Verfall sind, nicht in einem Mangel an gestalterischem Talent. Sondern darin, dass in der absichtlichen Herstellung von Produkten mit eingebautem Verfallsdatum ein kommerziell erfolgreicheres Geschäftsmodell liegt.

Psychologisch gesehen ist daran problematisch, dass solche Waren uns das lähmende Gefühl eines mangelnden Erwerbssinns vermitteln. Aber auch wenn diese Art geplanter Obsoleszenz zutiefst frustrierend sein kann, sollten wir nicht alle Hoffnung aufgeben.

In diesem immer lauteren und aufgeregteren Zeitalter gibt es eine wachsende Zahl heroischer Konsumenten, die verinnerlicht haben, dass sich zwar unsere technologischen und industriellen Fähigkeiten exponentiell entwickeln, unsere psychologischen Kernbedürfnisse aber seit Jahrhunderten konstant geblieben sind.

Wenn wir uns darauf konzentrieren, wenige hochwertige, langlebige Artikel zu kaufen, können wir sie viel intensiver genießen und mehr geistigen Raum schaffen, um über wichtigere Themen nachzudenken. Wenn wir leicht zu reparierende Produkte kaufen, die ein Leben lang halten sollen, tun wir nicht nur etwas für die Umwelt, sondern wir erfüllen auch unsere tieferen und dauerhaften psychologischen Bedürfnisse nach Stabilität und Einfachheit.

Auch wenn wir nicht viele Produkte dieser Art im Black Friday-Sale finden, sollte ihr Fehlen uns nicht glauben lassen, dass jeder Einkauf frivol ist. Wir können einfach dafür Sorge tragen, dass die Produkte, die wir kaufen, und deren Herstellung uns und unseren Planeten Energie kosten, in eine emotional nachhaltigere Richtung führen.

Auf diese reduzierte Art und Weise einzukaufen ist eine tiefe Errungenschaft – sie folgt aus mühsam gewonnener Klarheit über das, was wirklich zählt.

Wir könnten dabei auf eine Warnung des französischen Philosophen Diderot hören, der 1769 einen Aufsatz darüber schrieb, wie er die Gabe eines eleganten neuen Morgenmantels empfing, obwohl er bereits einen sehr bequemen besaß. Dieser Aufsatz – „Bedauern über meinem alten Schlafrock“ – skizziert, wie dieses neue Kleidungsstück ihn in eine Spirale des Konsums lenkte, da all seine alten Besitztümer im Vergleich albern wirkten. Er ersetzte seinen charmanten Strohstuhl durch eine teure Lederversion und verschuldete sich mit einem neuen Schreibtisch, einer Uhr mit Goldintarsien und einem großen Spiegel, der besser zu seiner neuen Schlafkleidung passte.

Als er schließlich erkannte, dass er kurz vor dem stand, was wir heute Panikattacke nennen, setzte er seinem „wahnsinnigen Wunsch, sich mit schönen Dingen einzudecken“, ein Ende und kehrte stattdessen zum einfachen Vergnügen zurück, Zeit mit seinen Gefährten zu verbringen. Die waren vielleicht etwas zerzaust und ungehobelt, ähnlich wie sein altes Gewand, aber sowohl sein alter Schlafrock als auch seine alten Freunde erwiesen sich als ein mehr als ausreichender Quell tieferer und nachhaltigerer Freude.