Papier im Seengebiet
Die siebte Generation von Papierherstellern blickt mit Leidenschaft in die Zukunft

Burneside Papierfabrik bei James Cropper im Lake District
Burneside Papierfabrik bei James Cropper im Lake District

Worte: Jane Audas

Fotos: Mark Cropper

Englands Zentrum für Papierherstellung liegt im fast übertrieben grünen Lake District, wo alles wie ein Buchcover aussieht (zumindest für eine bibliophile Stadtbewohnerin wie mich). „James Cropper“ produziert in der Burnside Fabrik in der Nähe von Kendal in Cumbria Papier, seit die Familie Cropper im Jahr 1845 das Unternehmen kaufte – obwohl hier schon viel früher, seit Mitte des 18. Jahrhunderts, Papier hergestellt wurde. Heute ist Mark Cropper der Geschäftsführer der Firma. Vor ihm haben sechs Generationen seiner Familie hier mit Papier hantiert.

Mark hat nicht immer in der Papierbranche gearbeitet. Als er in London lebte, hatte er eine Karriere im Bereich erneuerbare Energien. Im Jahr 2008 gründete er ein Unternehmen, das kleine Wasserkraftwerke baut. „Ich mag es, Dinge herzustellen; etwas aus dem Nichts zu erschaffen.“ Aber irgendwann konnte er dem Sog des Seengebiets und des Familienunternehmens nicht mehr widerstehen. 2013 kehrte er endgültig nach Burneside zurück.

Marks Büro liegt im ehemaligen Kutschenhaus und überblickt einen kleinen Garten, wo die Tulpen zur Zeit meines Besuchs gerade anfangen zu verwelken. Die Regale sind vollgepackt mit interessanten Büchern über Design, Papier, Textilien, gemustertes Papier (oft erkennbar durch die Einbände aus hübschem französischen Dominoté-Papier), Tapeten, Papyrus (dem „Papier vor dem Papier“) und Holzschnitt, neben anderen Themen. Die Reihen von Buchrücken werden nur von einem Stapel lokaler Landvermessungskarten unterbrochen. Der Rest des Büros enthält Dinge, die mit Papierherstellung zu tun haben, oder auch nicht: Buchpapierkataloge aus der Zeit Edwards VII, kleine Superbrand Schachteln in den bekannten Farben, ein alter Plakatkopf mit geschwungener Kalligrafie. Alles ist wunderschön angeordnet und nach Größe sortiert, in überschaubaren Stapeln, oft von einer dekorativen Keramik gekrönt. Die robusten dunkelbraunen Möbelstücke stammen aus dem 17. Jahrhundert und sind lokal hergestellt. Sie verleihen dem Büro eine gewisse Gravitas.

Marks Büro, mit Regalen voller faszinierender Bücher

Das Regalsystem 606 wurde 2008 für das Londoner Büro von Marks aufstrebender Hydrofirma gekauft. Er glaubt, dass er Vitsœs Produkte damals in einem Magazin sah und dass ihn die schlichte Ästhetik ansprach: „Es ist wichtig, wie die Dinge aussehen“, sagt er. Als er mit seinem 606 ins Seengebiet zog, war er ziemlich überrascht, dass Vitsœ alle originalen Verpackungen bereitstellte, um ihm den Umzug zu erleichtern: „Ich erinnere mich, dass ich damals dachte, es sei ein wirklich ungewöhnliches – wenn nicht sogar ein wenig seltsames – Level an Kundenservice.“ Seitdem haben noch weitere 606er ihren Weg nach Burneside gefunden.

Heute besteht „James Cropper“ aus drei Geschäftsbereichen: Papier, Colourform und Technical Fibre Products (TFP). Im Bereich Papier werden traditionelle Papiere hergestellt – zum Bedrucken, zum Schreiben, für Künstler und Malerinnen und so weiter. Man kann sich auch Papier nach Maß anfertigen lassen, wenn man Textur, Fasermischung und Farbton selbst bestimmen möchte. Im digitalen Farbkochbuch von James Cropper finden sich Rezepte für über 200.000 Farben, darunter 184 Schwarz- und 62 Weißtöne für diejenigen unter uns, die Nuancen zu schätzen wissen. Viele dieser maßgefertigten Papiere werden von Luxusmarken in Auftrag gegeben; das Papier für die leuchtend gelben Tragetaschen des Kaufhauses Selfridges, die man in der Londoner Oxford Street sieht, stammt aus der Fabrik Burneside.

Mark Cropper in der Papierfabrik

Die anderen beiden Geschäftsbereiche sind ganz auf Marks Interesse an Innovation und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Kurz nach seiner Rückkehr in das Familienunternehmen eröffnete er bei Burneside eine Abteilung für Technologie und Innovation. Anfangs saßen dort vier Leute in einem Raum und entwickelten neue Ideen. Der von ihnen erfundene Thermoform-Zellstoff Colourform kann in dreidimensionale Formen verarbeitet werden. Es ist ein bahnbrechendes Produkt, das Kunststoffverpackungen ersetzt und eine leichtere Alternative zu Pappkartons darstellt. Colourform hatte früh einen großen Auftritt als preisgekrönte neue Flaschenverpackung für Ruinart Champagner. Anstelle einer sperrigen Schachtel ähnelt die enganliegende Flaschenhülle dem Kokon einer Seidenraupe. Die Struktur des Materials ist den Kreidewänden der Brennereikeller in der französischen Champagne nachempfunden. Der letzte Auftrag des Teams war ähnlich glamourös: sie haben die Flaschen der Make-up und Parfümlinie von Dries Van Noten umhüllt.

Papierballen warten darauf, eingedämpft zu werden

Das dritte Standbein des Unternehmens sind Materialien aus Kohlenstofffasern (und anderen Materialien), die unter dem Namen Technical Fibre Products (TFP) hergestellt werden. Diese Materialien, die etwas weniger glamourös als „nassgelegte Vliese“ bezeichnet werden, sind ungeheuer vielseitig. „Sie können leiten, isolieren, vor Feuer schützen oder den glattesten Lack tragen, den man sich auf der Motorhaube eines Lamborghini nur vorstellen kann. Wir stellen wichtige Materialien und Komponenten für Wasserstoff-Elektrolyse und Brennstoffzellen, Windturbinenblätter und CO2-Abscheidung her.“ Wenn Mark über TFP spricht, hat er etwas von der Kinderbuchfigur Professor Branestawm (allerdings ohne die geflickte Wolljacke und das knisternde Haar). Er denkt viel über die Zukunft nach und akzeptiert, dass Veränderungen Zeit brauchen – aber sieht das nicht als Grund, sie nicht anzugehen. „Wir erfinden uns ständig neu. Wir müssen über neue Märkte und neue Methoden nachdenken. Es ist absolut kein Zufall, dass wir immer noch hier sind, in einer Branche, die in diesem Land fast ausgestorben ist.“

Als nächstes Projekt möchte Mark in das traditionelle Handwerk der Papierherstellung investieren. 2020 wurde in einem umgebauten Kuhstall eine handgefertigte Papiermühle eröffnet. Das Wissen um diese Handarbeit stammt von den letzten Papierherstellern in Irland – aus der Griffen Mill, die 2022 nach Burneside verlegt wurde. Die handgeschöpften Papiere von Griffen wurden ursprünglich für die Reparatur und Konservierung von Büchern entwickelt, wobei jedes Blatt vier echte Büttenränder aufweist. Sie werden von vielen der beeindruckendsten Archive in der ganzen Welt verwendet – darunter dem British Museum und der United States Library of Congress – und, da sich ihre Qualität herumspricht, immer mehr auch von privaten Druckereien, Buchbindern und anderen Papierinteressierten.

Tom Frith-Powell stellt in Handarbeit Papier für die „Paper Foundation“ her

Die handwerkliche Papierherstellung ist Teil von Marks neuestem Projekt, der „Paper Foundation“, einer Stiftung, die zum Schutz der Papierkunst und des Papiererbes gegründet wurde. Das alte Haus der Familie Cropper, “Ellergreen”, wird gerade umgebaut und soll ein Archiv, eine Bibliothek, eine Buchbinderei und mehrere Künstlerateliers beherbergen. In diesem Sommer wurde der erste Archivraum fertiggestellt, dessen Regale mit antiken Schöpfformen vollgestellt sind. Der Raum enthält auch faszinierende gemusterte Papiere und andere schöne Dinge aus Papier, die in Planschränken vor schädigenden Sonnenstrahlen geschützt werden. Die Idee der Stiftung ist, Papierbesessenen einen Ort zu bieten, wo sie recherchieren, an Workshops teilnehmen und sich mit Gleichgesinnten über alles, was mit Papier zu tun hat, auszutauschen.

Antike Schöpfformen in der „Paper Foundation“

Für Mark ist die „Paper Foundation“ eine Antwort auf die Sorgen, die er sich über die Bedeutung des Papiers in unserer heutigen Welt macht: „Papier ist eines der bemerkenswertesten Materialien in der Weltgeschichte, aber was wird getan, um es zu feiern? Wie wird sein Erbe gepflegt? Was ist mit all den anderen Künsten und Handwerken, die von ihm abhängen? Denken die Menschen überhaupt darüber nach? Nein, das tun sie nicht.“ Mark begann 2015 damit, Papiermaschinen aus alten Mühlen im ganzen Land zu sammeln. Viele der Mühlen waren schon seit Jahrzehnten geschlossen. Zu der Zeit gab es nur fünf historische Schöpfformen, die mit dem Familienunternehmen Cropper in Verbindung standen. Inzwischen hat Mark über 800 Schöpfformen gerettet, von denen viele in diesen Regalen zu finden sind.

Marks Erfahrung mit erneuerbaren Energien fließt in all diese Bemühungen ein. Ihm ist wichtig, dass die Designs von „James Cropper“ zukunftsweisend sind, aber auch, dass ihre Produktion bis in die Zukunft gesichert ist. Seit er wieder in Burneside lebt, hat er an Wasserkraftwerken im Lake District mitgearbeitet – einem Ort, an dem es viel regnet. Und auch an Solarenergieprojekten, die weniger wetterabhängig sind als man vielleicht denken würde. 2015 gründete er „Burneside Community Energy“, um Solaranlagen auf den Dächern der Fabrik zu finanzieren, wobei die Erträge zwischen der Gemeinde und den lokalen Aktionären aufgeteilt werden. „Ich möchte immer mehr davon machen. Ich bin auf lange Sicht dabei.“ Außerdem gibt es Pläne, „James Cropper“ bis 2030 vollständig zu entkarbonisieren.

Mark mit der nächsten Generation der Familie Cropper auf einer Brücke aus 22.000 Blatt „Red Poppy“ Papier

Wenn man darüber nachdenkt, sollte es in Großbritannien – wo Papier aus der Geschichte und Kultur des Landes überhaupt nicht wegzudenken ist – eigentlich eine Art Papierzentrum geben. Marks Ziel ist es, mit der „Paper Foundation“ die Papierkunst und das Papiererbe für die Zukunft zu bewahren. Es fühlt sich sehr richtig und angemessen an, dieses Ziel in Burneside zu verfolgen, wo Papier seit Jahrhunderten alles bestimmt. Dies ist ein Ort, an dem man Papier versteht. Und wer könnte besser als Mark Cropper dafür sorgen, dass wir alle die Möglichkeit haben, es auch zu verstehen?