Flour Power
Wie das Bäcker-Duo Pierre-Antoine und CJ zur Überzeugung gelangte, dass „einfach einfach besser ist“

Von: Kassia St Clair

Fotos: Anne-Claire Héraud

Die gängige Meinung ist, dass man sein Hobby lieber nicht zum Beruf machen sollte. Zum Glück für die Brotliebhaber im westfranzösischen Nantes ist Pierre-Antoine Arlot jedoch ein Mann, der seinen eigenen Weg geht und seine Leidenschaften voll auslebt. Das Ergebnis ist La Maison – oder Maison Arlot Cheng, um es beim vollen Namen zu nennen. Eine luftige, einfach eingerichtete Bäckerei mit Café an der Ecke einer alten Industriestraße im Viertel Île de Nantes. Die Speisekarte ist kurz und kombiniert Vertrautes mit Exotischem. Schinken-Senf-Toasties; ein thailändisch angehauchter Salat mit Karotten, Kumquat und Erdnüssen; Walnuss- und Adzukibohnen-Kuchen; radförmige Paris-Brest-Törtchen, gefüllt mit wolkiger Haselnusskrokant-Buttercreme.

CJ und Pierre-Antoine

Für Pierre-Antoine war die Eröffnung der Bäckerei in Nantes eine Heimkehr nach vierzehn Jahren des Wanderlebens. Er ist in der Stadt aufgewachsen und hat an der European Business School im nahegelegenen Bordeaux studiert. Dort haben die Studierenden die Möglichkeit, jedes Jahr in einem anderen Land zu arbeiten. „Ich habe in Spanien, in Florida in den Vereinigten Staaten und in London studiert und gearbeitet. Schließlich landete ich in China, in Shanghai.“ Pierre-Antoine blieb fünf Jahre lang dort und arbeitete bei „Identica“, einem kanadischen Grafikdesign- und Branding-Unternehmen. In dieser Zeit lernte er seine zukünftige Frau Chin-Jy kennen, die den meisten als CJ bekannt ist. Sie ist eine in China geborene Niederländerin, die fünf Sprachen spricht. Nach seiner Rückkehr nach Europa arbeitete Pierre-Antoine weiter im Bereich Design, zunächst in Paris für die Agentur „Carré Noir“ und dann in London für „Wolff Olins“.

In London entfachte sich Pierre-Antoine’s Leidenschaft für Essen im Allgemeinen und Brot im Besonderen. Er stammt aus einer Familie von Gast- und Landwirten und hat somit die Gastronomie im Blut, aber irgendetwas an der überschäumenden Londoner Restaurant-Szene weckte seine Phantasie. Er besuchte neue Gastropubs, die zu dieser Zeit in der Stadt wie Pilze aus dem Boden schossen, und verbrachte Zeit in Bäckereien. Die Szene fühlte sich „lebendig und sehr aufgeschlossen an – viel mehr als in Paris damals.“ Das E5 Bakehouse in East London hatte den größten Einfluss auf ihn. Das E5 wurde 2009 von Ben MacKinnon gegründet, der seinen Job bei einem großen multinationalen Unternehmen gekündigt hatte, um Bäcker zu werden. Der kleine, mit Backsteinen ausgekleidete Raum unter den Eisenbahnbögen des Bahnhofs London Fields hat sich zu einer Art Tempel für Sauerteig und wilde Hefe entwickelt.

Kanelbulle (schwedische Zimtschnecken)

Ob wegen der Verbundenheit zu MacKinnon oder der Qualität des Brotes – das E5 wurde zu einem Fixpunkt für Pierre-Antoine. Es dauerte nicht lange, bis er sich mit den Bäckern und Bäckerinnen anfreundete und stundenlang im süßen, warmen Dunst von Hefe und gärendem Mehl saß, um mit ihnen zu plaudern. Er fing an, zu Hause Brot zu backen und war besessen davon, die perfekte Kruste zu erzielen. Immer wieder kehrte er ins E5 zurück, um an den verschiedenen Kochkursen teilzunehmen, die dort angeboten wurden. „Sie waren sehr offen, wenn es darum ging, Neulinge in ihr Team aufzunehmen“, erklärt er, „und mir gefiel es dort so gut, dass ich zusätzlich zu meinem normalen Job an den Wochenenden Schichten übernahm.“

Nach der Geburt von Pierre-Antoines und CJs Tochter beschlossen die beiden, ihre Jobs aufzugeben und sich selbstständig zu machen. Als Berater war Pierre-Antoine es gewohnt, Unternehmen zu beraten und große Visionen und Ideen zu entwickeln, um dann mit wachsender Frustration zuzusehen, wie diese nie vollständig umgesetzt wurden. „Es gibt viele Hindernisse, besonders wenn man für große Unternehmen arbeitet. Also dachten wir: Okay, vielleicht sollten wir unser eigenes Unternehmen gründen und versuchen, unsere eigenen Ratschläge auf uns selbst anzuwenden, um zu sehen, was realistisch und was Blödsinn ist.“

Sie verbrachten ein Jahr damit, das Handwerk zu lernen. Sie besuchten Orte in Europa, die für sie die Spitze der Gastronomie repräsentierten. CJ, die wie Pierre-Antoine aus einer Familie von Gastronomen stammt, begann eine Ausbildung zur Barista bei der Rösterei Allpress in Dalston. Pierre-Antoine verbrachte vier Monate in einer Bäckerschule in der Nähe von Aix-en-Provence. Gemeinsam arbeiteten sie im Mirabelle in Kopenhagen in Dänemark, das von einem ehemaligen Chefkoch des Restaurants Noma geführt wird. Sie verbrachten Zeit in Paris bei einer englisch-französischen Bäckerei namens 10 Belles Breads, bei Pain Paulin in Cap Ferret in der Nähe von Bordeaux, und kehrten nach London zurück, um beim E5 zu arbeiten.

Maison Arlot Cheng, Nantes

Eine Bäckerei aufzumachen fühlte sich intuitiv richtig an. „Wir wussten, dass sich das Geschäft um unsere Leidenschaften drehen musste. Das war eindeutig die Gastronomie, und Brot schien der einfachste Einstieg zu sein. Natürlich kann Brot sehr komplex sein, aber es besteht trotzdem immer nur aus Mehl, Wasser und Salz. Daraus kann man eine ganze Welt erschaffen.“ Da sie mehrere Sprachen sprechen, war offen, wohin sie ziehen würden – aber sie entschieden sich bald, in Pierre-Antoines Heimatstadt zurückzukehren.

Als mittelgroße Stadt hat Nantes eine unbestreitbare Anziehungskraft. Anders als in Metropolen wie London, Shanghai oder Paris kann man alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen – und der Atlantik ist nur einen Katzensprung entfernt. Darüber hinaus ist Nantes ein kreatives Zentrum. Es gibt eine Akademie für bildende Kunst, viele Start-ups und die ehemals brachliegenden Industriegebiete werden gerade phantasievoll regeneriert. Eine große ehemalige Werft wurde zum Beispiel in einen Vergnügungspark mit einem Karussell und riesigen Metalltieren verwandelt, die von Stahlarbeitern hergestellt wurden und von Jules Verne-Romanen inspiriert sind. Die Stadt ist erschwinglich, was bedeutet, dass Pierre-Antoine und CJ ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eine bessere Lebensqualität bieten können. Sie selbst können ihre ehrgeizigeren Pläne realisieren: Mehr Tische, mehr Platz für Geräte, und mehr Spielraum nach oben, wenn das Unternehmen sich etabliert und wächst.

Feigen-Rosmarin-Törtchen

Als es darum ging, die Räumlichkeiten und Speisekarte von La Maison zu gestalten, war ihr Mantra: „einfach ist besser“. „Das bedeutete, dass wir uns von Trends und all dem Mist verabschieden mussten. So konnten wir uns auf hochwertigere Zutaten und Materialien konzentrieren.“ Nachhaltigkeit und die Beziehung zum lokalen Umfeld waren entscheidend. „Wir wollten sehr deutlich machen, wofür wir stehen, mit einer klaren Vision und einer klaren Philosophie. Wir denken immer daran, wie unsere Entscheidungen sich auf die Leben anderer Menschen auswirken. Was für Baumaterialien verwenden wir? Welche Möbel verwenden wir? Welche Art von Energie verwenden wir? Unsere Bäckerei speist sich aus 100% nachhaltiger Energie, die von kleinen französischen Wassermühlen erzeugt wird und die wir direkt beim Erzeuger kaufen.“ Anstatt italienischen Marmor für die Arbeitsplatten zu importieren, haben sie Granit und Schiefer aus lokalen Steinbrüchen recycelt und ein Verbundmaterial hergestellt, das Pierre-Antoine als „ländlichen Beton“ bezeichnet. Sie verfolgen eine Null-Abfall-Politik: übrig gebliebene Produkte werden an Wohltätigkeitsorganisationen verschenkt. Das Regalsystem 606, das sie in ihrem eigenen Haus in London hatten, wurde im La Maison wiederverwendet, um die Werke lokaler Künstler und Künstlerinnen auszustellen. Und trotz der Internationalität ihres Personals und ihrer Speisekarte konzentrieren sie sich auf die besten Zutaten aus einem begrenzten Umkreis von Nantes. Sogar die Adzukibohnen für die Torten werden in der Nähe angebaut (eine bemerkenswerte Ausnahme sind die „Allpress“-Bohnen aus Dalston, die sie immer noch für ihren Kaffee verwenden).

Das La Maison Team

Pierre-Antoine gibt zu, dass ihre Prinzipien auch Schwierigkeiten verursacht haben. „Wir mussten sehr schwierige Entscheidungen treffen, und das brauchte Mut“, sagt er. Aber er bereut es nicht. Dies ist seine Heimat, und er ist hier, mit seiner Familie, und lebt seine Leidenschaften. „Es sind an die fünf- oder sechshundert Menschen, die jeden Tag ins La Maison kommen. In dieser Hinsicht sind wir einflussreich. Und wir haben es geschafft, unseren Werten treu zu bleiben: 100% biologisch, 100% saisonal, ausschließlich erneuerbare Energie. Das jetzt zu sehen – den Einfluss, den wir haben – das ist fantastisch… anstrengend, aber fantastisch.“