Gary Collins und Middle Turn
Wie ein Architekt durch einen glücklichen Zufall zu seinem Traumhaus fand

Von: Vitsœ
Fotos: Kasia Bobula
Als Gary Collins, frisch von seinem Architekturstudium in Dundee in Schottland, in dem verschlafenen englischen Dorf Haddenham in Buckinghamshire ankam, war sein erster Gedanke: „Ist dieser Ort echt?“
Barry Heathcote, sein Architekurprofessor am Duncan of Jordanstone College of Art, hatte in einer Vorlesung zwei Bilder von Gebäuden des Architekten Peter Aldington gezeigt, die eine große Wirkung auf ihn hatten. Gary war so inspiriert, dass er eine Mappe zusammenstellte, in den Zug nach Haddenham sprang und bei Peters Architekturbüro „Aldington, Craig and Collinge“ an die Tür klopfte. Er fragte, ob er im Rahmen seines Studiums ein Jahr lang dort arbeiten könnte. Die Architekten waren überrascht, sagten aber „Ja“
Haddenham riecht nach frisch gemähtem Gras. In den engen Gassen, deren Namen auf ihre Vergangenheit schließen lassen – Crabtree Road, Waggoners Court – stehen strohgedeckte Häuschen. Mauern aus Wychert (einem altenglischen Wort für „weiße Erde“) schlängeln sich durch das Dorf. Wychert ist eine traditionelle Lehmmischung, die weiße Kreide und Stroh enthält und mit roten Tonziegeln gedeckt ist.

Das Bauen mit Wychert war in der Region eine Zeit lang weit verbreitet, da sich direkt unter der Erde eine dicke Kreideschicht befand. Im Herbst wurde die Kreide ausgegraben, dem Frost ausgesetzt, anschließend mit Wasser und Stroh vermischt und in Klumpen auf einen Steinsockel geschichtet. In Haddenham stehen noch heute viele Bauten aus Wychert, darunter einige aus dem 17. Jahrhundert. Heute wirken sie sehr malerisch, doch ursprünglich waren die Mauern rein funktional: um Schutz zu bieten, Höfe und Gärten abzugrenzen, Schweine und Enten zu halten und wilde Tiere fernzuhalten.
Die Bilder aus der Vorlesung, die Gary so beeindruckt hatten, zeigten drei moderne Häuser: Turn End, Middle Turn und The Turn. Aus Holz, Beton und Glas gebaut, liegen sie versteckt in einer alten Kulturlandschaft – einst Teil eines großen viktorianischen Anwesens – umgeben von Kastanien, Nadelbäumen, Nussbäumen, Robinien, Eichen, Mammutbäumen, Obstbäumen und vielem mehr, eingefasst von alten Wychert-Mauern. Peter Aldington war der Meinung, dass dörfliche Architektur Tradition und moderne Technik zusammenbringen sollte, um Häuser als Rückzugsorte vom hektischen Alltag zu schaffen. Aus dieser Überzeugung heraus entwarf und baute er Anfang der 1960er Jahre die drei Häuser. Das Projekt war sein Versuch, aus der Vergangenheit zu lernen, um ein Haus für die Gegenwart – und auch die Zukunft – zu schaffen.

Dieses Trio von Häusern wurde von Anfang an als echtes britisches Juwel unter den besten Wohnbauten Europas gefeiert. Sie stehen auf der National Heritage List for England und sind aufgrund ihrer besonderen architektonischen Bedeutung als Grade II* eingestuft – eine Auszeichnung, die nur wenigen Nachkriegsbauten zuteilwird. Peter Aldington erhielt 1970 den Royal Institute of British Architects Award for Architecture, und das Ensemble aus Häusern und Garten gilt bis heute als herausragendes Beispiel für den sensiblen Umgang mit historischem Baumaterial im späten 20. Jahrhundert. Nach zwei Jahren im Architekturbüro in Haddenham schloss Gary sein Studium ab und startete seine eigene Laufbahn. „Manche mögen den Begriff “konstruktivistische Ästhetik“ nicht“, sagt er, „aber genau das spricht mich an: Ich fühle mich wohl, wenn ich die Konstruktion eines Gebäudes nachvollziehen kann; wenn sich seine Struktur in der Form offenbart, wie bei einem viktorianischen Lagerhaus oder einem alten Bahnhof.“ So arbeitete Gary später für Büros wie Hopkins Architects. „Ich bin zu Hopkins gegangen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie diese Art von Architektur stärker verfolgten als andere.“
Er wohnte mit seiner Frau Sally und zwei kleinen Kindern in Oxford und wechselte dann zu Berman Guedes Stretton Architects (BGS). Alan Berman war im Vorstand des inzwischen gegründeten Turn End Trusts, der sich gelegentlich in den Büros von BGS traf. So ergab es sich, dass Gary wieder mit Peter Aldington in Kontakt kam.

Die Freundschaft mit Peter wurde in den folgenden Jahren immer enger, und schließlich wurde auch Gary Vorstandsmitglied im Turn End Trust. Er erinnert sich an einen symbolischen Moment: „Ich wohnte noch in Oxford, als Peter zu mir sagte: „Ich weiß, wie sehr du Braun und den Rams-Stil magst. Ich habe da etwas für dich.“ Und dann drückte er mir einfach diesen Audio 1 in die Hand.“ Der Plattenspieler hatte lange auf Peters Dachboden gestanden und musste erst einmal repariert werden. „Also besorgte ich einen neuen Riemen und einen neuen Tonabnehmer, um ihn wieder zum Laufen zu bringen. Momentan steht er nicht in meinem Vitsœ-Regal, aber ich weiß genau, dass der Deckel mit dem Ausschnitt perfekt passt: Er lässt sich öffnen, ohne dass die Platten an dessen Rückseite stoßen. An diesem Gerät stimmt einfach alles.“ Für Peter und Gary sind Braun und Vitsœ eine natürliche Ergänzung zur industriell geprägten Designarchitektur. „Wie viel braucht man wirklich und wie viel ist bloß Dekoration, Symbolik, Lärm?“, sagt Gary. „Ich sehe eine klare Verbindung zwischen dem, was Peter Aldington und auch Dieter Rams gemacht haben: Man beschränkt sich auf das Wesentliche – und genau dadurch gewinnt es an Wirkung.“
Als junger, ambitionierter Designer in den 1960er Jahren wollte Peter Aldington, genau wie Dieter Rams, mit neuen Denk- und Gestaltungsansätzen Grenzen sprengen. „Das war das Besondere an Rams“, sagt Gary. „Er konzentrierte sich auf das Wesentliche und war dabei unglaublich innovativ. Als Peter diese großen Glaswände verbaute, war das völlig neu – die Technik steckte noch in den Kinderschuhen. Und genau das nutzte er, um seine Häuser zu verwirklichen. Für mich passt das perfekt zu Rams’ Ansatz.“
Peter baute Turn End als sein eigenes Zuhause, während Middle Turn und The Turn verkauft wurden. Middle Turn war lange Zeit im Besitz einer Familie aus dem Dorf und wurde 2018 zum Verkauf angeboten. Laut Satzung musste das Haus zunächst dem Trust angeboten werden, doch dieser konnte damals nicht genug Mittel aufbringen, um es zu erwerben. Gary nutzte die Gelegenheit und fragte, ob er es kaufen könnte. Der Trust stimmte zu.
Gary spricht mit einem sanft brummenden schottischen Akzent, der seinen Worten zusätzliche Wärme verleiht, wenn er von seiner Freundschaft zu Peter und den „Turns“ erzählt. „Wir haben Fotos von Sally und den Mädchen, als sie noch ganz klein waren und in Peters Garten saßen. An den Tagen der offenen Tür kamen wir oft vorbei und schlenderten durch den Garten – er ist wunderschön. Die Kinder kannten ihn gut, deshalb war es für sie keine Umstellung, hierher zu ziehen.“ Gary ergänzt: „Sie wussten, wie sehr ich es hier liebe – aber sie lieben es ebenfalls. Sally ist genauso begeistert.“

Der Grundriss der drei Häuser ist so konzipiert, dass er sowohl das Sonnenlicht als auch die Privatsphäre maximiert. Die kleinen, nach Süden ausgerichteten Innenhöfe sind von den typischen Wychert-Mauern Haddenhams umschlossen. „Als wir eingezogen sind, fühlte es sich sofort wie zuhause an. Das Haus ist sehr privat. Bevor man das Grundstück betritt, geht man durch einen zentralen Innenhof, der doppelt Schutz vor der Außenwelt bietet. Und wenn man erst einmal im Haus ist, kann man von keinem Punkt draußen eingesehen werden – trotz der großen Fenster überall, die so viel Licht hineinlassen.“

„Es ist eine andere Art zu wohnen. Alles ist sehr offen – und es funktioniert erstaunlich gut. Vorher war mir nicht bewusst, wie klug das alles geplant ist. Wie kompakt und durchdacht das Gebäude ist. Zum Beispiel diese kleinen Paneele, die sich diskret öffnen lassen. Es gibt Nischen und versteckte Fächer, in denen man Dinge verstauen kann.“ In der Küchenzeile ist die Spüle leicht erhöht, sodass ihr Sockel bündig mit der Arbeitsfläche abschließt – man muss sich also nicht bücken.
„Ich bin immer noch ziemlich fassungslos, dass ich hier wohne – es ist überwältigend, aber hier bin ich“, gesteht Gary. „Im Rückblick sieht es vielleicht so aus, als gäbe es einen bewussten Weg, der mich hierher geführt hat – aber es war nie geplant. Dies ist einfach das Haus, in dem ich leben möchte. Ich bin angekommen. Und ich habe nicht vor, weiterzuziehen. Ich liebe es.“

Und was ist mit den beiden Bildern, die Barry Heathcote vor etwa 30 Jahren in einer Vorlesung zeigte?
Vor rund einem Jahr blickte Gary zufällig in den Innenhof und sah einen älteren Herrn mit Stock, der die Häuser betrachtete.
Gary trat hinaus und fragte: „Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?“
Der Mann antwortete: „Ich wollte nur noch einen letzten Blick darauf werfen.“
Gary schaute ihn an und sagte: „Ich kenne Sie.“
„Wirklich?“, fragte der Mann.
„Ja. Duncan of Jordanstone, Dundee. Sie waren mein Architekturprofessor“
Der Turn End Trust organisiert ein vielfältiges Programm an Veranstaltungen rund um die Häuser und den Garten, das einem breiten Publikum offensteht. Weitere Informationen hier.