Straßen im Himmel
Die Renaissance der visionären 1960er-Jahre-Siedlung Park Hill in Sheffield

Von: Leanne Cloudsdale

Fotos: Vitsœ

Sheffield, einst die Welthauptstadt der Stahlindustrie, wurde schon in Chaucers Canterbury Tales erwähnt. Es ist eine Stadt mit einer langen industriellen Tradition und einer einzigartigen Topografie. Sie liegt in der englischen Grafschaft South Yorkshire, wo es Straßen gibt, die so steil sind, dass sie mit Handläufen ausgestattet sind. Wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, braucht man eine extrem zuverlässige Handbremse. Für die Planungsabteilung der Stadtverwaltung, die in den 1950er Jahren den Bau von Wohnungen für die wachsende Nachkriegsbevölkerung vorantreiben sollte, stellte dies eine besondere Herausforderung dar.

Der leitende Architekt und visionäre Gestalter der Park Hill Wohnsiedlung in Sheffield war der 1909 geborene J.L. Womersley. Die Siedlung entstand auf einem 32 Hektar großen Gelände, das zuvor von slumähnlichen Reihenhaussiedlungen mit Gemeinschaftstoiletten und kommunalen Wasserleitungen ohne Anschluss an das Abwassernetz geprägt war. Die Architekten Jack Lynn und Ivor Smith verwirklichten Womersleys bahnbrechende Vision einer Wohnanlage, die sich harmonisch in die dramatische, hügelige Landschaft einfügt.

Eine Luftaufnahme der Wohnsiedlung, Architectural Review, 1961

Die Bauarbeiten begannen im Jahr 1957 und wurden 1961 fertiggestellt. Als sie fertig war, hatte die Siedlung 995 Wohnungen, drei Kneipen und 31 Geschäfte, die sich auf fünf freistehende, durch Brücken verbundene Hochhäuser verteilen. Die markante gitterartige Struktur der Fassaden ist kilometerweit zu sehen. Womerlsey und sein Team sorgten dafür, dass die Dachhöhe auf dem gesamten Grundstück konstant ist, was dazu führt, dass die Zahl der Stockwerke zwischen vier und 13 variiert. Nach seiner Fertigstellung wurde das Gebäude als modernistische Utopie gefeiert und erhielt in der Architekturpresse begeisterte Kritiken. Heute ist Park Hill das größte unter Denkmalschutz stehende Gebäude im Vereinigten Königreich und wird international als Ikone des Brutalismus verehrt.

Die durch Brücken verbundenen Hochhäuser

Die vielleicht bedeutendsten Merkmale von Park Hill sind seine „Straßen im Himmel“. Wie in der „Unité d’Habitation“ des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier in Marseille sind die einzelnen Wohnungen über einen drei Meter breiten Gehweg zu erreichen, der eine geselligere Alternative zu den kleinen, geschlossenen Lobbys traditioneller Hochhäuser bietet. Als Geste des Respekts gegenüber den Bewohnern und Bewohnerinnen der abgerissenen Reihenhäuser wurden diese „Straßen“ nach denen auf dem ursprünglichen Grundstück benannt: Gilbert, Hague, Long Henry und Norwich. Das ursprüngliche Kopfsteinpflaster wurde ebenfalls wiederverwendet und pflastert nun den Weg zum Bahnhof von Sheffield, der unterhalb von Park Hill liegt. Es waren Details wie diese, die das gemeinschaftliche Leben in dieser ganz neuen Art von Siedlung prägten: Sie stärkten nachbarschaftliche Beziehungen und erzeugten ein Gefühl des Stolzes auf eine neue, gehobene Lebensweise.

Drei Meter breite interne Gehwege zur Stärkung nachbarschaftlicher Beziehungen

Der ehemalige Stadtplaner Graham Hague arbeitete damals in Womersleys Team. Heute ist er 84 Jahre alt und längst im Ruhestand. Er blättert in Archivboxen mit handgezeichneten Bauplänen und Zeitungsausschnitten über das neu eröffnete Park Hill, die bis in die 1960er Jahre zurückreichen, und erklärt. „Damals waren Hochhäuser auf dem europäischen Festland viel üblicher als hier in England – abgesehen natürlich von Orten wie London oder Schottland, wo Mietshäuser schon immer eine größere Tradition hatten. Hier in Sheffield war eine Anlage in der Größenordnung von Park Hill höchst ungewöhnlich. Die Leute waren zunächst abgeschreckt, weil sie sich nicht vorstellen konnten, so weit vom Boden entfernt zu leben.“

Graham Hague, ehemaliges Mitglied des Stadtplanungsteams in den 1950er Jahren

Graham ist bescheiden, wenn er über seinen Beitrag zu Womersleys architektonischer Utopie spricht, aber es wird schnell deutlich, dass das Gespräch über die fortschrittlichen Aspekte des Modernismus ihn noch immer anregt und inspiriert: „In diesem Land wird alles, was wir ganz pragmatisch geschaffen haben, abgeschafft. Die Kommunen damals waren vielleicht ein bisschen bürokratisch, aber sie wussten, was gebraucht wurde und haben danach gehandelt. Jetzt geht es nur noch um Profitgewinn. Als Park Hill gebaut wurde, kamen jedes Wochenende Busladungen von Architekten, Stadtplanern und so weiter aus anderen Städten (und sogar aus ganz Europa) nach Sheffield, um zu sehen, wie die Struktur sich entwickelte. Das zeigte mir, dass das, was wir etwas schufen, hoffentlich Teil der Zukunft sein würde. Und mit der jüngsten Wiedergeburt von Park Hill ist diese Zukunft wahr geworden.“

Die umgesiedelten Bewohner und Bewohnerinnen gewöhnten sich allmählich an ihre neue Umgebung und begrüßten die Aussicht auf ein nagelneues, modernes Zuhause mit Küche und Bad und sauberem fließendem Wasser – anstatt des einzelnen Wasserhahns in der Ecke der Spülküche, den die meisten von ihnen zuvor gehabt hatten. In den 1980er Jahren jedoch verfiel die Anlage (wie viele andere im Besitz lokaler Kommunen) wegen mangelnder Investitionen und schlechter Instandhaltung. Und dies, obwohl sie jahrzehntelang als bahnbrechende Wohnsiedlung von großer architektonischer Bedeutung hochgehalten worden war. Graham erinnert sich: „Wenn man in dieser Zeit in den lokalen Nachrichten von Park Hill hörte, war der Ton meistens abwertend. Aber ich sage immer: Wer einen schlechten Ruf hat, wird ihm gerecht. Wenn eine Gegend in den Medien positiv besprochen wird, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass die Menschen sich dort respektvoll verhalten.“

Die erste Phase von Park Hill

Einst ein leuchtendes Vorbild für urbane Gestaltung, galt Park Hill plötzlich als Schandfleck. Gegen Ende der 1990er Jahre war es in echter Gefahr, dem Erdboden gleichgemacht zu werden. Im Jahr 1998 schaltete sich die gemeinnützige Stiftung English Heritage ein und rettete das gesamte Anwesen, indem sie es unter Denkmalschutz stellte. Seit 2004 werden die Gebäude unter der Leitung des Bauträgers Urban Splash langsam, aber stetig in fünf „Phasen“ saniert. Drei der fünf Phasen sind inzwischen abgeschlossen. Das Architekturbüro Hawkins\Brown war für die komplette Überholung der ersten Phase verantwortlich, die 2013 abgeschlossen wurde. Mikhail Riches war die architektonische Kraft hinter der kürzlich abgeschlossenen Sanierung von Phase zwei, die seit ihrer Fertigstellung im Jahr 2022 mehrfach ausgezeichnet wurde. In der gesamten Siedlung wurden die Laibungen abgewinkelt, so dass mehr Licht durch die raumhohen Fenster einfällt. Die Gemeinschaftsgärten mit ihren alten Bäumen und Wildblumenbeeten sind gut gepflegt und einladend, auch nachts. Auch wenn keine Milch- oder Brotlieferungen mehr über die Gehwege rollen, herrscht in Park Hill ein Gefühl von fast altmodischer Zufriedenheit und Zusammengehörigkeit.

Richard Fennell ist 2022 aus London hergezogen und lebt jetzt in Park Hill. Er lächelt und sagt: „Die Architektur hat sich kaum verändert – damals vor 60 Jahren wussten sie schon, wie man’s macht! Die Wohnungen sind ganz unterschiedlich geschnitten, dadurch hat man ein sehr starkes Gefühl von Eigentümerschaft. Gleichzeitig fördern die Außendecks und die Gärten den Sinn für kollektive Verantwortung. Die Menschen, die hier wohnen, kommen aus Sheffield und auch von viel weiter her, und alle fühlen sich eng mit der Stadt verbunden. Ich kenne die Namen von mehr Nachbarn hier in Park Hill, als ich in den 15 Jahren, in denen ich in vielen anderen Vierteln in Sheffield und anderen Städten gelebt habe, insgesamt kennengelernt habe. Es hat etwas Beeindruckendes, an einem Ort zu leben, an dem man durch die Fenster auf ein Meer von Grün blickt, während die pulsierende Stadt direkt hinter einem liegt.“

Tageslicht flutet durch die raumhohen Fenster einer neu renovierten Wohnung

Das Meisterwerk von J.L. Womersley, das sich über den Horizont von Sheffield erstreckt, hat eine zweite Chance erhalten. Warum es so gut funktioniert, ist schwer zu ergründen. Liegt es den Gebäuden, die keine dunklen Ecken haben, an den durchgehenden Gehwegen, oder am Panoramablick auf das Peak District und die Pennine Hills? Oder sind es die Menschen und ihre Bewunderung für die Visionäre des letzten Jahrhunderts, die unsere Sicht auf das Wohnen in Hochhäusern verändert haben, indem sie Ziegeln und Beton Liebe und Seele einhauchten? Oder vielleicht ist es das harmonische Zusammenspiel von allem zusammen.